Freitag, 22. Dezember 2006
The Lady
Heute lauft meine Landlady sozusagen unten ohne durch die Wohnung.
Zum allgemeinen Verstaendnis: Oben ohne, das ist wenn man kein T-Shirt traegt.
Dementsprechend: unten ohne, das ist wenn man keine Hose traegt.
Sie ist ja meist eher leicht bekleidet unterwegs, Sommers, wie Winters. Sie sagt sie kommt aus L.A. und das sei auch der Grund warum sie barfuss laeuft. Aber davon, dass sie barfuss laeuft, kann man nicht erblinden.
Ansonsten sind ihre Hemdchen auch laenger, als dass es heute der Fall ist. Ansonsten verdecken sie zumindest das Noetigste, anderst, als dass es heute der Fall ist…
Als meine Vormieterin Charlene mir von dem Zimmer erzaehlte, war sie ganz hin und weg. Es liegt in einer super Gegend in Brooklyn, direkt am Prospect Park. Das Zimmer hat nen Balkon, vom Balkon aus kann man die Freiheitsstatue sehen. Die Miete ist quasi nur die Haelfte von dem was man sonst in NY zahlt. Alles super.
Deine Mitbewohnerin, sagte Charlene damals, wird die Landlady selbst sein. Sie hat da diese Fuenf-Zimmer-Wohnung, die ihr allein, irgendwie zu gross ist. Deswegen vermietet sie manchmal an Duchreisende oder Studenten oder an durchreisende Studenten. Sie hat dadurch etwas Gesellschaft, denn sie ist ein bisschen uebergewichtig und kann daher nicht mehr so oft raus.
Aber: she’s runnng a business. Von zu Hause aus. Oder besser gesagt von ihrem Kingsize-Bett aus. Solange ein Telefon in greifbarer Naehe ist, ist also alles moeglich.
Sie hat eine Hundeschule. Sie hat sie gegruendet, der Laden gehoert ihr. Aber das letzte mal, dass sie selbst mit einem Hund gegenueber im Park Gassi war, dass war sicher neunzehnhnderzweiundneunzig.
Sie regiert ueber ihre Hundeschule also von Haus aus. Genauso wie ueber den Donut-Laden, den oertlichen Pizza-Baecker, den Diner unten an der Strassenecke, die Jungs von Fresh Direct, sowie ueber den chinesischen, taiwanesischen, indonesischen, koreanischen und libanesischen Imbissservice.
Sprich: wenn’s an der Tuer klingelt, ist das einer ihrer Boys, der ihr den zweiten, dritten oder vierten Lunch oder das zweite, dritte oder vierte Dinner bringt. Es ist kein Geruecht, dass 60 Prozent aller Amerikaner uebergewichtig sind.
Es ist auch kein Geruecht, dass Amerikaner fuer viele Missstaende in ihrem Leben den 11.September verantwortlich machen. Meine Landlady hat mir zum Beispiel erzaehlt, dass sie nach den Ereignissen am World Trade Center shoppingsuechtig geworden war. Seitdem haengt sie Tag und Nacht, abwechselnd vorm Fernseher und vorm Internet und kauft Handtaschen und Schmuck.
Man muss da aber schon unterscheiden: das mit den Klunkern, das ist ihr ernst. Die sammelt sie. D.h. die hortet sie, wie ein Gnom den Goldschatz, keine Ahnung, irgendwo in diesem Apartment.
Vielleicht werde ich hier eines Tages auf einem rieseigen Smaragd ausrutschen… Aber vermutlich eher auf einem angekauten Hundeknochen, wie kuerzlich erst nach ihrer letzten Hundetrainigsstunde im gruenen Wohnzimmer.
Ich hatte bereits die Ehre ihre Kostabarkeiten zu bewundern und die Armreifen anzusehen, die so gorgeous and elegant an ihrem schlanken Handgelenk liegen. Und die 500 Dollar Handtaschen, die sie nur bestellt hat, um mal das Leder zu fuehlen und sie danach zurueckzuschicken.
Amerika ist in Punkto Warenruecknahme sehr kulant. Selbst wenn die Lady Burgersauce draufsabbert, wurde man ihr das Geld zurueck ersatten.
Ich steh total auf meine Lady. Sie ist die Quintessenz dessen wie die Europaeer sich Amerika vorstellen. Ein Klischee ist zum Leben erwacht.

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