Samstag, 21. April 2007
Lieber ein Geschwür im After…
Das sagt man doch so, oder nicht? Zumindest bedient sich ein Freund von mir dieses Ausdrucks und meines Wissens wurden zum Thema auch schon Gruppen gegründet. Lieber ein Geschwür im After, als ein deutscher Burschenschaftler.
Ich war ja auch immer gegen extremistische Randgruppen. Burschenschaftler fand ich aber nie extrem: Kids reicher Eltern, die darauf abfahren sich zu duellieren und ins Koma zu saufen und Bikinipartys zu veranstalten. Würden wir das nicht alle tun, wenn sponsored by Daddy?
Mir ist schon klar: die Ideologie… und die Tradition… da stehen Dinge dahinter, die ich so auch nicht vertreten würde, kein normaler Mensch würde das.
Aber mir egal: die waren auf dem Schlossberg und ich unten in der Stadt. Ich hatte damit nie zu tun. Ich bin im ersten Semester nicht mal auf Verbindungspartys gegangen. Das was fand ich doof. Vielleicht hatte ich Mühe mit der Vorstellung, dass meine Unterwäsche hinterher aus den Fenstern der Verbindungshäuser wehen könnte.
Ich meine, das ist schon eine seeehr traditionelle Studentenstadt hier und man legt Wert auf Konventionen. Jedenfalls, diese Verbindungssache boomt hier wie Anno ääähhh, na Mitte des 13.Jahrhunderts.
Vielleicht hätte ich den Fehler einfach im ersten Semester machen sollen, so wie sich das für alle ordentlichen Studentinnen gehört. Im ersten Semester geht das noch als Unwissenheit durch, die zwar nicht vor Torheit schützt, diese aber vor deinen Mitmenschen entschuldigen kann.
Zu meiner Verteidigung muss ich anführen, ich wusste gar nicht, dass er ein Burschenschafter war…
Wir gehen also aufn Bier. Das ganze Lightbier in Amerika hatte meine routinierte studentische Trinkkondition bereits erheblich untergraben und nach zwei Bier und einem Melonenschnaps war ich schon gut dabei.
Dann meinte er so: sag mal haste Bock was zu rauchen? Und ich so: hmmmmjammmhmmja schooon.
Also gingen wir zu ihm. Nachdem nämlich raus kam in was für einem Club er da Mitglied war, wollte ich mir das nicht mehr nehmen lassen, bei denen mal hinter die modrigen Mauern der Tradition zu blicken.
Jeeej, und deswegen eignen sich zehn Zentimeter Stilettos nicht zum Bergsteigen! Wieso müssen die Burschenschaftler denn auch alle auf dem Scheißschlossberg wohnen? Vielleicht ist das noch ein Überbleibsel aus der alten Kriegsführungstradition. Männer sind doch alle kleine Napoleone.
Jedenfalls, die Schlossführung begann…Es öffneten sich Türen, wir wanderten durch Säle. Es öffneten sich noch mehr Türen, ich war in einem Schloss. Ich übertreibe natürlich maßlos. Aber diese verdammte Dekadenz, im Vergleich zu den Sardinenbüchsen, in denen die Studenten hier sonst zu hausen gezwungen sind - das ist soziale Ungerechtigkeit!
Es war irgendein uraltes Gemäuer, man konnte die rohen Steine in der Wand erkennen und die Dielen im Boden knarrten sich die jahrhundertealte Seele aus dem Leib. Es roch nach Altertum und Akademikertum und nach Bier und Männerschweiß. Das war der Geruch der patriarchalen Tradition.
Riesige Fenster zeigten über die ganze Stadt. Ein dreißig Meter langer Tisch, massiv aus Eiche, wie die Tradition der Burschenschaftler. Ich meine massiv. Nicht aus Eiche. Ich meine die Tradition.
Es gab eine Kanzel in diesem Raum. Von hier rief der Muezzin zum Gebet. Äähh, nein. Das war was anderes… Von hier aus wurde das jahrhundertealte Wissen verbreitet. Das Wissen um Studium, Tradition und Männerschweiß.
Seine Mitbewohner kamen vorbei, im Fachjargon auch „Brüder“ genannt. Sie tauchten kurz sabbernd in meinem Ausschnitt ab, tauchten wieder auf und verschwanden. Sehr traditionell.
Es ging durch die Bibliothek mit einer steinalten Sammlungen von Goethes und Schillers Werken. Es ging durch lange Zimmerfolgen, wo die traditionellen Verbindungsbrüder sich zum studieren alter Schriften zusammen trafen. Und es ging durch den Bierkeller, wo die traditionellen Verbindungsbrüder den Sünden des Lebens frönen konnten.
Dann kamen wir in sein Gemach. Her wurde sicher auch öfter den Freuden des Lebens gefrönt. Ganz traditionell drehte er dann einen und wir rauchten zusammen.
Jeeej, wie lange hatte ich das schon nicht mehr gemacht?
Jeeej, wie alt war ich in der Zwischenzeit geworden?
Jeeej, egal. Denn jetzt war ich wieder fünfzehn.
Jeeej, warum wurde mein Kopf so schwer?
Jeeej, er wurde ja immer schwerer…
Boah, Scheiße. Ich muss jetzt ganz dringend meinen Kopf ablegen.
Ich glaube, je vernünftiger die Menschen in meiner Umgebung werden, desto unvernünftiger werde ich. Desto mehr falle ich wieder in die Pubertät zurück.
Und ich muss sagen die Menschen in meiner Umgebung werden immer Vernünftiger. Sie schließen Versicherungen ab, planen Kinder, bauen Häuser. Ich komme nach Hause zurück und bin einfach nur schockiert von allem. Ich reagiere trotzig und denke immerzu nur: ich will zurück nach New York und Schuhe kaufen!!!

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